Attempto - Abenteuer leben
Wolfgang Seraphim, mit acht Jahren 1945 aus Schlesien nach Schwaben geflohen und dort in bitterkalter Februarnacht von zwei ihm unbekannten Frauen mit Mutter und Schwester aufgenommen, schildert mit dem Charme eines Lausbuben seine glückliche Kindheit. Er verliert auch auf Flucht und schwieriger Schulzeit nicht seinen von Herzen kommenden Humor.
Ein Leben lang begleitet ihn der Wahlspruch, der über der Neuen Aula seiner Heimatuniversität Tübingen steht: ATTEMPTO, ich wage es. Ohne Numerus Clausus landet er, nach Studienzeit und Tätigkeit als renommierter Internist in eigener Praxis, beim „Komitee Nothilfe“ von Rupert Neudeck: Zunächst im November 1979 auf der „Cap Anamur“ zur Rettung vietnamesischer Boatpeople, anschließend bei Ogadenflüchtlingen in der Steppe im Norden Somalias. Bis auf den heutigen Tag engagiert er sich, über 80-jährig, damit Flüchtlinge bei uns ein neues Zuhause finden.
Seine Berichte sind immer hart am Geschehen, seine Abenteuer spannend erzählt. Er spart nicht mit Kritik sowohl an bekannten großen Hilfsorganisationen als auch an den eigenen Unzulänglichkeiten. Seine Lebensgeschichte hat er geschrieben für eine junge Generation, die am Beginn von großen politischen, sozialen und klimatischen Veränderungen steht.
Als eBook erhältlich, ISBN 978-3-95457-221-2
Vorwort von Christel Neudeck
Mein erstes Telefonat mit Wolfgang Seraphim 1979 war einprägend; ich habe es nie vergessen. Nach der ersten Fahrt der Cap Anamur wurde dieses Unternehmen als Kinderkreuzzug dargestellt. Rupert war in Singapur, ich hier zu Hause vor dem Fernseher. Ich erwartete eine Flut von Anrufern, die ihre Spende zurückforderten. Der erste Anrufer hieß Seraphim und sagte, wir sollten uns nicht irritieren lassen, wir sollten weiterarbeiten und er sei dabei. Das erschien mir mit diesem Namen wie eine Botschaft des Himmels.
In den folgenden Jahren wurden Irmela und Wolfgang Seraphim unverzichtbar. Sie stehen für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne die wir in keinem Projekt erfolgreich hätten sein können.
Wolfgang ist keiner, der aufgibt. Nur selten verlassen ihn Humor und Optimismus. Schon als Kind antwortete er seiner Mutter, die ihm drohte, bei so schlechten schulischen Leistungen könne er nur Schweinehirt werden: Können es auch Gänse sein? Er sucht und findet Lösungen für scheinbar unlösbare Fragen. Vielleicht macht es ihm gerade dann Freude, wenn die Lösungen nicht auf der Straße liegen und seine Kreativität gefragt ist?
Albert Schweitzer sprach von der Schlafkrankheit, die nicht nur den Körper, sondern auch die Seele befallen könne: „Wie ihr die geringste Gleichgültigkeit an euch merkt und gewahr werdet, wie ein gewisser Ernst, eine Sehnsucht, eine Begeisterungsfähigkeit in euch abnimmt, dann müsst ihr über euch erschrecken und euch klarwerden, dass das davon kommt, dass eure Seele Schaden gelitten.“ Wolfgang Seraphim ist nicht in der Gefahr, an der Schlafkrankheit der Seele zu leiden.
Ich wünsche seinem Buch Leser, die sich von seinem Inhalt inspirieren und ermutigen lassen.
Buchbesprechung
Ich erinnere mich noch gut an die Anfänge unserer Vesperkirche 1996: ich war neugierig und sehr gespannt auf das was kommt, wie jeder Anfang war alles etwas chaotisch und noch sehr improvisiert. Einer der Vesperkirch-Initiatoren damals war der Wasseralfinger Arzt Dr. Wolfgang Seraphim, den ich bis dahin nur dem Namen nach kannte. Ich war sehr beeindruckt von seinem Engagement, klapperte er doch sämtliche Treffpunkte der Aalener Obdachlosen in der City ab und kutschierte sie mit seinem Privatwagen nach Wasseralfingen und wieder zurück. Und mich brachte das dazu, die Leute, die täglich in und ums Torhaus herum (mein damaliger Arbeitsplatz) ihren Tag verbrachten, ebenfalls ab und zu anzusprechen und einzuladen. Hätte ich ohne sein Vorbild sicher nie gemacht.
Das alles ist ja nun schon sage und schreibe 25 Jahre her und Dr. Seraphim hat Wasseralfingen schon vor einigen Jahren verlassen. Sehr überrascht war ich deshalb, als Pfarrer Quast bei mir anfragte, ob ich nicht für den neuen Gemeindebrief die Biographie von eben diesem Wolfgang Seraphim vorstellen wolle.
Ich wusste gar nicht, dass der Mann überhaupt noch lebt, aber was ich auch nicht wusste: dass seine Geschichte tatsächlich den Stoff für ein ganzes Buch (immerhin über 400 Seiten) hergibt und nicht eine Minute langweilig wird.
Wolfgang Seraphim (Jg. 1936) berichtet über seine behütete und glückliche Kindheit als jüngstes Kind einer Arztfamilie in Schlesien, die durch Krieg, den Tod des Vaters im Krieg und die spätere Flucht ein frühes Ende fand. Aufgenommen von Verwandten in Murrhardt, später dann die Weiterreise nach Esslingen zur Großmutter, die weiteren Jahre geprägt von Hunger und Armut, aber auch von Menschen, die selbst wenig hatten und trotzdem in der größten Not unerwartet zu Hilfe kamen.
Seine Schulzeit beschreibt er selbst als ausgesprochen schwierig. Es läuft nicht so rund und mühelos wie bei seinen Geschwistern, ein Lehrer beschreibt ihn als „fleißig aber dumm“. Entgegen aller Erwartungen schafft er trotzdem sein Abitur und beginnt ein Medizinstudium in Tübingen.
Er erzählt über seine entbehrungsreiche Studienzeit, die er überhaupt nur durch ein Stipendium finanzieren kann und in der das Geld hinten und vorne nicht reicht. Auch die Arbeit als promovierter Arzt wird Anfang der 60er Jahre ziemlich dürftig bezahlt – man verdient wenig und arbeitet viel. Als er mit seiner Frau einige Jahre später nach Treppach zieht und in Wasseralfingen seine internistische Praxis eröffnen kann, haben endlich die finanziellen Sorgen ein Ende. Doch die Seraphims sind weit davon entfernt, sich auf ihren erreichten Zielen auszuruhen. Wolfgang Seraphim, stark geprägt von seiner Kindheit und Jugend, hat sich vorgenommen, sobald es geht, hilfsbedürftigen Menschen zu helfen, so wie ihm selbst immer wieder geholfen wurde.
Die Gelegenheit dazu ergibt sich, als er und seine Frau, aufgerüttelt durch einen Bericht über die vietnamesischen Boat People, Rupert Neudeck kontaktierten, weil sie ein vietnamesisches Kind adoptieren möchten. Dieser ist allerdings eher auf der Suche nach tatkräftigen Ärzten, die ihn auf seinem Schiff, der Cap Anamur, bei der Rettung dieser Menschen im südchinesischen Meer unterstützen. Und so beginnt eine enge Zusammenarbeit und lebenslange Freundschaft mit den Neudecks, und Seraphim erzählt von ihren Einsätzen auf der Cap Anamur und in Kambodscha, und später in somalischen Flüchtlingslagern. Die Schilderungen des Elends dieser Menschen geht unter die Haut und mein Respekt vor diesen tatkräftigen, selbstlosen Menschen wächst mit jeder Seite des Buches.
Wolfgang Seraphim erzählt seine Lebensgeschichte interessant, gesellschaftskritisch, oft auch selbstkritisch – aber immer mit einem Augenzwinkern und viel Humor. Ein absolut lesenswertes Buch über einen besonderen Menschen.
Von Simone Lehnert, Stadtbücherei Aalen
Der Autor
Wolfgang Seraphim
Den Autor, 1936 geboren, führte sein Leben nicht nur zu zwei Projekten von Christel und Rupert Neudeck, sondern auch als Mitbegründer der „Ärzte für die Dritte Welt“ – heute „German Doctors“ – zu Mutter Theresa. Seine Biographie zeigt insgesamt beispielhaft: Engagement darf vor der eigenen Haustüre beginnen. So findet er seinen Regenbogen von der Naissance, Geburt, über die Connaissance, dem Wissen dank Erlebens, bis zur Reconnaissance, der Dankbarkeit zum Zeitpunkt seines mit über 80 Jahren geschriebenen Textes. „Schreiben heißt sein Herz waschen.“ Ein Herz, das eine Vernunft hat, die der Verstand nicht kennt. Ein Herz, das ihn mit der geschenkten mütterlichen
Liebe ein Leben lang begleitet. Sie führt zu seinem Schlussakkord: die Liebe, das größte Abenteuer, dem wir im Leben begegnen können. Emotional berührend erschienen Auszüge eines Hilfseinsatzes unter anderem im „ZEIT-MAGAZIN“ und „Deutsches Lesebuch für Gymnasien“ des Klett Verlags.